Samstag, 23. März 2013

Die Gigantomie der Hausbar - ein Befreiungsschlag.

Ich gestehe. Auch ich bin der Gigantomanie der Hausbar verfallen. Ein Tequila? Natürlich drei: Blanco, Reposado und Anejo. Und ein Extra Anejo auch. Fürs Auge – der Flakon ist äußerst ansehnlich. Und natürlich fürs Ego. Und was sag ich? Vier Tequila? Hochland und Tiefland natürlich. Also acht. Und dazu Gin. London Dry. Old Tom. Genever. Neo-Style. Vom Rum mal gar nicht gesprochen. Länder, Stile, Brennblasen: Die Varianten potenzieren sich. Darf es ein französischer Likör sein? Nur als Reimport aus den USA erhältlich? Egal. Her damit. Schließlich lässt sich die Tradition aus der Flasche ausgießen.

Ich gestehe. Ich bin enttäuscht. Nicht von den Herstellern, die machen zu großen Teilen einen guten Job und tolle Produkte. Nicht vom Barhobby an sich, es macht großen Spaß zu mixen. Aber es ist etwas verloren gegangen. Der Hauch des Neuen, des Verborgenen. Das fiel weg. Plötzlich. Mit meiner Beitragsreihe über Amer Picon begann für mich, dass die Luft aus der Sache raus war. Der letzte Schleier der Cocktailarchäologie hat sich für mich gelüftet. Auch mit Malacca. Ein schöner Gin, aber wo ist der Reiz eines raren Produkts, wenn es nicht mehr darum geht, alte (virtuelle) Keller danach zu durchstöbern, sondern wer am schnellsten den „Kaufen“-Button auf Ebay drückt?

Gestern trank ich einen Wein. Er roch und schmeckte nach einem toten Veilchen. Nie zuvor hatte ich so etwas geschmeckt. Ich verabschiedete mich innerlich für einen Moment von meinen Tischnachbarn (Sorry Guys) und widmete mich nur diesem Geschmack. Die Faszination, die dieser Moment hatte, war nicht zu vergleichen. Nicht mit einem Schluck T. H. Handy Rye von 2009, dem besten Produkt der Reihe. Nicht mit dem Four Roses Small Batch Bourbon Limited Edition 2012. Beides Produkte, die wunderbar sind und für mich zu den besten erhältlichen amerikanischen Whiskeys gehören.

Ich gestehe. Ich war süchtig. Auch nach neuen Cocktailrezepten. Meine Datenbank besteht aus mittlerweile 1200 Rezepten. Sie alle nachzumixen kostet mich mindestens 4 Jahre und drei Spenderlebern.

Ich werde mich trennen. Von den Cocktailrezepten. Und von etwa einem Viertel meiner Hausbar. Nicht weil es schlechte Produkte sind. Nicht weil ich sie nicht mag oder mir nicht vorstellen könnte, mit Ihnen zu mixen. Sondern einfach, weil sie mir zur Last fallen.

In einer Spirituosenwelt, in der alles im Überfluss vorhanden ist, ist es kein besonderes Merkmal, alles zu besitzen. Das kann jeder. Es ist nur eine Frage des Dispo-Kredits. Die in Massen gekauften Flaschen erzählen keine Geschichte mehr. Ich konnte einmal behaupten, mich mit jeder Spirituose in meinem Regal eingehender beschäftigt zu haben. Auch das ist verloren gegangen. 

Dies ist kein Post, meinen Blog zu schließen. Ich liebe Rye. Ich liebe Wermut. Ich liebe Tequila. Die Reihen werden fortgeführt, wenn auch etwas anders. Die Bar und der Blog existieren weiter, allerdings auf das Wesentliche reduziert. Drei Gin, drei Tequila. Viel Rye. Und vieles, anderes mehr.


Euer Tikiwise

Montag, 18. März 2013

Cocktail-Archäologie - Amer Picon - Teil 1

In alten Cocktailbüchern stößt man immer wieder auf die Spirituose bzw. den Bitterlikör Amer Picon. Ich wollte mich diesem Getränk widmen und stieß erstaunlicherweise auf relativ wenig Informationen. Insbesondere wunderte ich mich, dass das heutige Produkt relativ wenig mit dem Ursprungsprodukt gemein zu haben scheint, aber sich dennoch niemand um das wahre Produkt zu kümmern scheint. Merkwürdig, schließlich wird doch sonst sehr penibel nach dem wahren Geschmack gesucht.

Das Bekannte 

 

Dank einem sehr aufschlussreichen Artikel aus der Mixology wissen wir: Amer Picon wurde im Jahre 1837 von Gaétan Picon erfunden, als dieser nach Algerien ging um dort in der französischen Armee zu dienen. Das Getränk aus mazerierten Orangenschalen, der Rinde des Chinabaumes und Enzian hatte fiebersenkende Wirkung und war zudem sehr angenehm zu trinken – Parallelen zum Tonic Water der Engländer sind unverkennbar. Er betrieb daher in Algerien bereits drei Destillerien, womit er auch die Zivilbevölkerung in Frankreich versorgte. Durch die Mobilmachung im Vorfeld des deutsch-französischen Krieges kehrte auch Gaétan Picon nach Frankreich zurück und gründete eine weitere Destillerie in Marseille. Die Rezeptur des „Original“ Picon Amer wurde jedoch im Jahre 1989 soweit verändert, dass der Alkoholgehalt nur noch 21% beträgt, im Original waren es 39%. Das Produkt wird heute in einem Joint Venture von LVMH und Diageo hergestellt und fristet leider ein Nischendasein.

 

Das Unbekannte

Wie kann man heute möglichst nahe an den Original Amer Picon kommen? Wie schmeckte ein Brooklyn, ein Liberal Cocktail oder ein Picon Punch wirklich? Und was ist mit modernen Cocktails wie dem Jaguar?

Das Original – Amer Picon (38%) 

Durch großes Glück gelang es mir eine Flasche Amer Picon zu erstehen. Leider ist der Korken nicht in perfektem Zustand, sodass einige Oxidationstöne vorhanden sein werden. Bei 38% Alkohol allerdings dürfte die gesamte Geschmacksveränderung aber (hoffentlich) zu vernachlässigen sein. Von wann die Flasche ist, ist schwer zu sagen. Nach meinen Recherchen wird sie ca. von 1920 sein. Wer etwas genaueres zum Alter beisteuern kann, wird gerne gehört.

Geschmacksnotizen

Ziemlich oxidativ, fast sherryartig. Aber dahinter eine unglaubliche Fruchtigkeit, die bewahrt blieb. Daneben eine dezente Süße, leichte Orangenölnoten, und deutliche, aber keine störende Bitterkeit. Toll.

Geschmack ist relativ. Daher soll der historische Amer Picon als Maßgabe dienen und zwar indem er zur Justierung des geschmacklichen Koordinatensystems fungiert. Die zu vergleichenden Merkmale sind anhand der oben beim Amer Picon wichtigen Aspekte: Süße und Bitterkeit, sowie Fruchtigkeit und Öl der Orange und die kräutrigen Töne des Likörs, die insbesondere vom Enzian herrühren. Der Übersichtlichkeit halber sind die Werte für den Amer Picon auf „5“gesetzt.

Spur 1 Torani Amer

Torani Amer wird von Torani aus Kalifornien hergestellt, ein 1925 gegründetes Unternehmen, das sonst verschiedene Siruparten für Kaffee herstellt. Torani Amer wird ebenfalls aus Orangenschalen, Chinarinde und Enzian hergestellt und gilt als Ersatzprodukt für Amer Picon. Außerdem besitzt es 39%, weswegen es in den USA als Ersatz für den untergegangenen Picon Amer gehandelt wird. Glücklicherweise ist Torani Amer seit kurzem auch in Europa über TWE zu beziehen. Ein Import nach Deutschland ist auf Nachfrage nicht geplant. Es gibt hier zwei Versionen. Nach 2008 wurden die als unangenehm empfundenen Kräuternoten (manche sprachen von Sellerie) entfernt. Die Veränderung ist leider nicht auf dem Etikett sichtbar, sodass unklar bleibt, welche Charge ich erwischt habe.

Geschmacksnotizen

Der Geschmack ist leider – katastrophal. Sehr alkoholisch, scharf, sprittig. Starke Orangenöltöne kommen durch. Ansonsten wenig süß, wenig bitter. Ich hoffe (für den Hersteller), ich habe die alte Version erwischt.

Spur 2 – Amer Picon (21%) 

Der Amer Picon wie wir ihn heute bekommen in der alkoholreduzierten Version. Häufig ist es ja so, dass mit dem Verlust von Alkohol und der Neurezeptur auch der Geschmack leidet. Kina Lillet und Lillet Blanc sind da so Kandidaten. Die Flasche kostet ca. 20€/l und ist in Europa der Standard, wenn es um historische Cocktails mit Amer Picon geht.

Geschmacksnotizen

Die Verwandtschaft zum Amer Picon ist deutlich. Wesentlich weniger Süße, aber das Geschmacksprofil, insbesondere der Kräuter und der Orangentöne ist dem alten Amer verblüffend ähnlich. Insbesondere die Frische der Orangenfrucht unterscheidet die Picon Amer von den anderen Kandidaten.

 

 

Spur 3 – Amaro CioCiaro 

Amaro CioCiaro ist ein relativ unbekannter Amaro, der in Deutschland nur schwer erhältlich ist. Auf das Tableau habe ich ihn gesetzt, weil Cocktailhistoriker (welch Berufsbezeichnung!) David Wondrich ihn als ein geschmacklich sehr identisches Substitut für Amer Picon hält und dazu rät, ihn zu vermixen.

Geschmacksnotizen

Das kann ich leider nicht bestätigen. Der Amaro ist extrem süß und die Orangenfrucht deutlich präsent, allerdings ziemlich künstlich. Die Kräuternote hingegen bleibt unterrepräsentiert. Für mich kein geschmackliches Substitut. 

Spur 4 – Amer Boudreau 

Jamie Boudreau hat ein weit beachtetes Rezept aus mazerierten Orangenschalen, Stirring’s Orange Bitters und Ramazzotti entwickelt, welches nach Aussagen anderer Bartender dem Picon Amer recht nahe kommen soll. Dank einer glücklichen Fügung gelang es mir auch, eine Flasche des Bitters zu erhalten und ich machte mich an die Herstellung.

Geschmacksnotizen

Der Amaro ist deutlich auf der bitteren Seite. Auch sind die Orangenöl-Noten sehr dominant. Weniger deutlich hingegen die Orangenfrucht, die trotz der Stirring’s Orange Bitters (die sehr fruchtig sind) nicht deutlich durchkommt.


Im Vergleich ergibt sich folgendes Bild: 





Deutlich zeigt sich für mich ein überraschender Sieger im Ähnlichkeitstest: Amer Picon (21%). Die Alkoholreduzierung hat den Geschmack kaum verändert. Alle anderen Kandidaten haben Ausrutsch in die eine oder andere Ecke. Amer Boudreau kommt am ehesten noch an das Produkt. Wieso aber wird dann in den USA soviel Bohei um das Ersatzprodukt gemacht? Vielleicht war doch zu viel Verdunstung von Alkohol im antiken Picon Amer der Grund für die Ähnlichkeit zum neuen Produkt? Eine spirituöse Form der „Altersmilde“ etwa? Ich kann es wohl nicht endgültig erklären, weiß aber, dass europäisches Amer Picon kaum zu bekommen ist. Vielleicht daher der Wunsch nach dem Substitut.


Allerdings muss der identische Geschmack im puren Zustand nicht unbedingt besser sein. Eventuell spielt der Alkoholgehalt beim Vermixen eine stärkere Rolle. Viele andere Zutaten haben sich im Laufe der Zeit ja auch gewandelt. Im zweiten Teil wird es dann um den Geschmack in Cocktails gehen und welche Zutat in modernen und antiken Cocktails das beste Bild abgibt. Höchst subjektiv aber auch höchst schmackhaft.


Mittwoch, 13. März 2013

Sterne-Cocktails I – London Fog Milk Punch

Endlich wieder Bloggen. Bei Sterne-Cocktails soll es um die Frage gehen, wohin die Reise gehen könnte, wenn man ausgetretene Pfade verlassen möchte. Wenn man mit den tollsten Zutaten zubereiteten und auf den Milliliter abgestimmten Cocktails bereits getrunken hat. Auf der Suche nach den Sternen...und nach Cocktails, die in Zubereitung und Geschmack so außergewöhnlich sind, dass man sie getrost als Sternecocktails bezeichnen kann. Vorstellen möchte ich den London Fog Milk Punch.



Schritt 1 - Vanillesirup

Zutaten:
500 ml Wasser
500 g Zucker
2-3 Vanilleschoten

Als Erstes stellt man einen 1:1 Vanillesirup her. Wasser und Zucker aufkochen, Vanilleschoten auskratzen und gemeinsam mit dem Mark in den heißen Sirup geben. Sas ganze abkühlen lassen. Die Vanille kann im Sirup verbleiben. 
 

Schritt 2 – Tee-Infusion

Zutaten:
750ml Weißer Rum
2 gehäufte Teelöffel Earl-Grey-Tee

Tee in den Rum geben. 4 Stunden ziehen lassen. Durch einen Sieb die Teeblätter abseihen.


Schritt 3 – Den Punch ansetzen

Zutaten:
250 ml Zitronensaft
500 ml Frische Vollmilch
2 Zimtstangen
8 Nelken

Zitronensaft und Vanillesirup zu der Infusion geben. Die Milch mit den Zimtstangen und den Nelken erhitzen, bis sie leicht köchelt. Dann die heiße Milch zu dem Rest geben. Ergebnis: Die Milch wird sauer und flockt aus. Sobald sich das ganze auf Raumtemperatur abgekühlt hat durch ein Passiertuch abseihen. Notfalls tut es auch eine Mullwindel.


Das fertige Gebräu einfach auf Eiswürfeln servieren. Gegebenenfalls mit Zitrone oder Zucker die Säure/Süße nachjustieren.


Das Ergebnis ist ein unglaublich fruchtiger Punch, der durch die Aromen von Tee und Milch einen mir bis dato unbekannten Geschmack eröffnet hat. Der Punch lässt sich auch super für eine Tiki-Party vorbereiten und ist weit innovativer als die meisten anderen tropischen Punches.


Montag, 4. März 2013

Rockabily Mixology II - Cachaca

Neben Wodka hat wohl keine Spirituose unter der großen Cocktailrenaissance so stark gelitten wie Cachaca. Wohl um Rache zu nehmen an zu vielen unsäglich süß-bitteren Caipirinhas versteckte der werte Bartender sie in die zweite oder dritte Reihe seines Kabinetts. Dabei wird der kleine Bruder des Rums unterschätzt. Ein guter Cachaça kann die Kräuternoten des frischen Zuckerrohrs mit der Buttrigkeit eines guten Tequila vereinen. Auch aus diesem Grund will ich im Selbstversuch drei Cocktails mit Cachaça testen, für die es sich hoffentlich lohnt, die Flasche abzustauben.


Phantom Limb (Ryan Shevlin) 

  • 1,5 oz Cachaça
  • 0,75 oz Dry Vermouth
  • 0,25 oz Cointreau
  • 0,25 oz Orgeat
  • 2 ds Absinth
  • 1 ds Grapefruit Bitters

Auf Eis rühren, in Cocktailschale abseihen.


Beginnen wir mit diesem netten Aperitif. Wollte Ryan Shevlin ursprünglich einen Cachaça Mai Tai machen, landete er nach dem Austausch von Limette durch Wermut bei einem tropischen Twist auf den Martini Cocktail. In der Nase grüßen die Frische des Cachaça und die Zitrusnoten des Cointreau. Am Gaumen bilden die leichte Süße des Cachaça und die Mandelnoten ein angenehm weiches Bukett bilden. Den Abgang bilden die Würzigkeit des Absinth und das Orgeat. Ein gelungener Aperitif, der zeigt, welch Eleganz Cachaça Drinks haben können.



Amber Hive (Jay Hepburn) 

  • 1 oz Cachaça
  • 0,75 oz Sloe Gin
  • 0,5 oz Zitronensaft
  • 2 barspoons Campari
  • 2 barspoons Zuckersirup
  • 1 Eiweiß
  • 2 ds Grapefruit Bitters
Mit Eiswürfeln lange shaken, in Cocktailschale abseihen

Als zweites ein komplexeres Sour Konzept. In der Nase wieder Cachaça, am Gaumen ein schönes Spiel zwischen der Frucht des Sloe Gin und dem Campari. Der Cachaça bleibt subtil im Hintergrund, bleibt aber Rückgrat des Drinks. Ein wirklich toller Drink, dessen Komplexität viel Freude bereitet.



Bitter in Brazil (aus dem Citizen, Worcester, USA) 

  • 1,5 oz Cachaça
  • 0,75 oz Grand Marnier
  • 0,5 oz Punt e Mes
  • 0,25 oz Zuckersirup
  • Fernet Branca
Das Old Fashioned Glas mit Fernet Branca auswaschen, restliche Zutaten auf Eiswürfeln rühren, dann in Glas mit Eiswürfeln abseihen.

Nun also der Digestif. Schon die Nase macht klar: Der Drink verlangt Zeit. In der Nase die Kräuter des Fernet, die schon in Tabaktöne übergehen. Am Gaumen Orange und unendlich viel Karamel. Der Wermut ist fast gar nicht zu schmecken. Ein sehr süßer, sehr würziger Cocktail, bei dem der Cachaça schon fast nicht mehr zu schmecken ist.


Fazit: Cachaça ist durchaus vermixbar und hält auch modernen Cocktailstandards stand. Allerdings: Nach einem Abend mit Cachaça bin ich auch wieder für einige Zeit gesättigt. Er bleibt ein schwieriger Geselle. Welchen Drink man aber mal tatsächlich ausprobieren sollte ist der Amber Hive.

Freitag, 15. Februar 2013

Die Ubiquität guten Trinkens 1 - Der MeyFeld GenussKLUBB Hannover

Mit diesem Post soll die Reihe „Ubiquität des Guten Trinkens“ beginnen: In meinem Jahreswechselpost hatte ich geschrieben, dass nun die Zeit kommt, in der man überall in Deutschland gute Cocktails trinken könne. Der Behauptung versuche ich nachzugehen, um Bars und Barprojekte aufzuspüren, die sich nicht in den großen Barzentren Berlin, München, Köln und Hamburg befinden, sondern für die meisten von uns "um die Ecke". Im ersten Teil der Serie wird der MeyFeld GenussKLUBB Hannover und seine Philosophie vorgestellt.

Manche Menschen werden förmlich in die Bar hineingeboren. So wie Thomas Neufeld. Schon im Alter von sechs Jahren stand er bei Familienfesten hinter der Theke auf einer Bierkiste und schenkte in weißen Hemd und Krawatte Getränke aus. Mit fünfzehn begann er im Catering zu arbeiten. Trotz Ausbildung zum Anlagenmechaniker riss die Bar-Affinität nie ab und so entschied sich Thomas Neufeld vor einigen Jahren, zu seiner wahren Liebe, der Bar, zurückzukehren.

Als dann „Die Bar die es nicht gibt“ in Hannover stattfinden sollte, führten Thomas Neufeld und Maren Meyer das Projekt durch. Maren Meyer ist  der Bar seit zwanzig Jahren treu geblieben. Als sie als Servicekraft in einer Cocktailbar anfing, war eine Frau an den Shakern dort noch undenkbar. Doch sie setzte sich mit viel Wissensdurst durch und bekam einen der kostbaren Plätze an der Bar. Daraufhin entschied sie sich gegen ihr Studium der Germanistik und Pädagogik und voll für den Barberuf.

Beide beschlossen, das Konzept gemeinsam in Hannover auf Dauer durchzuführen. Einmal im Monat findet nun in ungewöhnlicher Location der MeyFeld GenussKLUBB statt. Dann heißt es: Speakeasy Location, klassische Cocktails und entspannter Atmosphäre der 20er und 30er Jahre. Hannover – bisher nicht gerade berühmt für seine Barkultur – will vorsichtig an die klassische Bar herangeführt werden. Passend dazu läuft an der Bar Swing und Jazz, im Rest der Location Soul und Funk, damit die Drinks direkt in Bewegungsenergie umgesetzt werden können.

Dazu gehören natürlich auch die passenden Cocktails: Sour, Fizz, Old Fashioned und Highballs gehören zum Sortiment. Ansonsten ist die Karte jedes Mal einzigartig. Aber auch alkoholfrei wird experimentiert. In die Limonaden finden unter anderem Salbei & Ananas, Thymian & Earl Grey oder Orange & Ingwer Ihren Weg.

Apropos Experimente: Einige Rezepte mit dem „Wolfenbüttler Hauswein“ – der Fachmann weiß, es handelt sich um Jägermeister – werden ebenfalls über den Tresen gereicht. Gerne auch als Variante des Manhattan mit Lokalkolorit. 

Samstag, 9. Februar 2013

Tanqueray Malacca - Über den Hype.

Seit einigen Tagen ist Tanqueray Malacca im Handel erhältlich. Von den 100.000 Flaschen weltweit haben es einige auch nach Deutschland geschafft. Und die Nachfrage war wohl so gigantisch, dass die Angebote bei den Händlern oft nur wenige Stunden überlebten - trotz der strikten Limitierung von einer Flasche pro Kunden. Mittlerweile sind dreistellige Preise nicht ungewöhnlich

Was also bewegt mich und wohl auch andere Käufer, einem Produkt hinterherzujagen, dass sie oft nicht kennen.

Der Gin des Lebens? Tanqueray Malacca.

Eine wenig spektakuläre Erkenntnis. Wir befinden uns in der Gin-Craze der Neuzeit. Täglich schlagen neue Gins auf dem Markt auf, aus noch älteren Brennblasen, noch authentischeren Rezepten und noch handwerklicher arbeitenden Destillen. Den Überblick hat der Gast wie der Bartender längst verloren. Und damit setzt langsam eine große Enttäuschung ein. Man kann nicht alle Gins haben. Man muss aber auch nicht weil - wenn man mal ehrlich ist - die geschmackliche Bandbreite von Gin auch begrenzt ist. Wacholder, Gewürze und Zitrus. Mal mehr von dem einen, mal mehr von dem anderen. Aber immer distinktiv Gin. Daher musste man auf andere Werbetricks greifen und es gibt jetzt Gins in roten, gelb-roten, blauen kubusförmigen und blauen quaderförmigen Flaschen. Der Vergleich mit aromatisierten Vodkas liegt nahe. Irgendwann ging es nicht mehr um das Produkt an sich. Aber dort hatte man wenigstens größere Geschmacksunterschiede, die eine größere Mixability erlaubten. Gin bleibt Gin.

Tanqueray hat mit Malacca geschafft, was der ganze Gin-Markt wollte und nicht erreichen konnte. The next big thing. Aber der wohl meistbegehrteste der Welt. Wieso? Malacca ist "nur ein Gin". Das Produkt ist von guter Qualität. Und: Er ist vom Hersteller nicht überpreist. Aber insbesondere: Malacca war schon da, als Gin, gerade Old Tom Gin noch ein Nischenprodukt war. Er ist also im Gegensatz zu den "Neo-Gins" wirklich authentisch. Tanqueray setzt damit einen Kontrapunkt zur Gin-Craze. Unaufgeregt, mit kaum Werbung, sehr britisch eben.

Und damit ist vielleicht auch der Begriff "Hype" falsch. Es geht genau um das Gegenteil. Es geht darum, Gin wieder ins rechte Licht zu rücken. Gin ist weder hip noch besonders revolutionär. Gin ist der nette ältere Herr im Cord-Anzug, der einem das Leben erklärt. Und genau das verkörpert Malacca. Solche Menschen sind selten - ein Glück wenn man sie findet. Und genau so steht es mit Malacca. 

Während ich diesen Text geschrieben habe stieg der Preis des Gins gerade von 109€ auf 169€. Der Wunsch nach Authentizität scheint tatsächlich sehr groß zu sein. Werter Leser, wo liegt ihre Schmerzgrenze? Und warum?

Samstag, 26. Januar 2013

Rockabilly Mixology I - Kümmel

Nach kurzer Kreativpause fängt (verspätet) das neue Jahr für das Manhattan Projekt an. Die Beiträge in kommender Zeit werden sich meist den drei großen Themen 2013 widmen: Sterne-Cocktails; Ubiquität guten Trinkens und „Rockabilly“.
Was bedeutet das nun? Ziel der Reihe „Rockabilly Mixology“ soll sein, ungenutzte Zutaten zu neuen Höhen zu bringen um zu zeigen, dass nicht nur Über-Cocktails mit Über-Zutaten einen Platz an der Bar haben, sondern auch kreative, ungewöhnliche Mischungen, die einen anfangs etwas skeptisch auf die Karte blicken lassen.

Den Anfang wird der gute alte Kümmel machen. Und genau das ist sein Problem. Er ist gut und alt und man assoziiert ihn doch eher mit Grünkohl und alten Menschen. Dabei hat er eine lange Tradition als Cocktailzutat. Der „Gilka Kümmel“ wird z.B. bereits im Old Waldorf Astoria Barbook von 1935 als traditionelle Zutat aus Riga und Russland beschrieben und dort in Drinks wie dem „Kingston“ (Jamaika Rum, Kümmel, Orangensaft, Pimento Dram), dem „Loensky“ (Scotch, Kümmel, Kein Eis) oder dem „Lune de Miel“ (Creme de Cacao White, Parfait Amour, Kümmel, Eigelb), von dem das Buch zu berichten weiß, dass er „öfter getrunken als richtig ausgesprochen“ werde. Ausprobiert habe ich insbesondere letzteren aber nicht. Ich wäre begeistert, wenn das der geneigte Leser täte – ich bin dafür nicht mutig genug.

Im Pioneers of Mixing at Elite Bars wird hingegen der Kümmel aus Deutschland gelobt. Qualitative Unterschiede sind mir nicht bekannt, sowohl Helbing als auch Gilka sind in Deutschland verbreitet. Combier macht ebenfalls einen hervorragenden Kümmellikör.

Headkick (Jeff Grdinich, Drink, Boston)

 

 

  • 1 oz Fasstärken-Rye Whiskey (Willett)
  • 1 oz Dry Vermouth (Dolin Dry)
  • 3/4 oz Kümmel (Helbing)
  • 1/4 oz Chartreuse (Gelb)
  • 1 ds Orange Bitters (Angostura)
  • 1 dash Celery Bitters (TBT)

Auf Eis rühren und in Cocktailschale abseihen. Mit Zitronentwist garnieren.

Der Fassstärken-Rye gibt einen prägenden, aber zurückhaltenden Hintergrund für das Spiel von Kümmel und Chartreuse. Die Süße der Liköre wird durch den Wermut deutlich abgemildert. Im Abgang wird der Rye wieder deutlich. Ein schöner Aperitif, der sich nicht aufdrängt.


Spice Trade (Kirk Estopinal, Beta Cocktails)
  • 1 oz Kümmel (Helbing)
  • 1 oz Herbsaint Legendre
  • 3/4 oz Orange Curacao (Pierre Ferrand)
  • 2 ds Aromatic Bitters (Angostura)

Auf Eis rühren und in Cocktailschale abseihen.

Der Spice Trade fällt schon sehr unter die Kategorie “fancy”. Schwere Noten von Anis und Kümmel, die das Aufbegehren des Curacao versuchen kleinzuhalten. Kein Easy-Drinking-Cocktail. Geeignet eher für fortgeschrittene Absinth-Trinker, die etwas “Mildes” möchten.


Alice (Stan Jones, Jones’ Complete Barguide) 

 


  • 1 oz Blended Scotch (Johnnie Walker Black Label)
  • 1 oz Punt e Mes
  • 1 oz Kümmel (Helbing)
Auf Eis rühren und in Cocktailschale abseihen. Orangentwist über dem Glas ausdrücken.


Im Stakkato überschwemmen hier die Aromen die Geschmacksnerven. Orangenöl, Rauch und Kümmel in schneller Abfolge. Die Aromen überlagern sich nicht, sie wechseln sich ab. Hat man in der Nase noch Orange und Rauch, erscheint am Gaumen zunächst der süße Kümmel, gefolgt von einer zutiefst beglückenden Weinigkeit. Im Nachgeschmack wieder Rauch und Kümmel. Beeindruckend, der simpelste und der beste Cocktail des heutigen Abends. Einer, der einem klassischen Negroni oder Rob Roy in handwerklicher Simplizität, aber geschmacklicher Eleganz in nichts nachsteht. Toll.


Es lohnt sich also, den Kümmel mal wieder abzustauben.